Verfasst von: adrian4xp | April 1, 2010

Unheimliche Allianzen

oder vom Aschenputtel unter den Prinzipien der katholischen Soziallehre

Es gibt einem schon zu denken, wenn die Bundesjustizministerin (im folgenden: BJM) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Zusammenhang mit der Missbrauchsaffaire, die sich an Schulen in katholischer Trägerschaft zuerst gezeigt hatte, fordert, Täter (und Dokumente) sollen beim kleinsten Verdacht – und sogar gegen den erklärten Willen der Opfer –  an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden. Es gibt auch zu denken, wenn das erste, was passiert, noch bevor die Gespräche mit den Opfern ausgewertet wurden, Strafverschärfungen oder überhaupt rechtliche Konsequenzen gefordert werden, ohne dass überhaupt klar ist, was in diesem Zusammenhang ein sinnvolles Ziel wäre; denn in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion geht es nur in der ersten Ebene um die konkrete Ebene Opfer – Täter.

Viel entscheidender ist aber die Frage, wie und warum hat das strukturelle Schweigen so lange funktioniert? Und wie sich jetzt an anderen Bildungseinrichtungen (Odenwaldschule) zeigt, ist das nicht nur ein Problem der katholischen Schulen, sondern aller Träger, die enger mit Kindern und Jugendlichen zu tun hatten, ja, wie sich auch am Deutschen Fußball Verband zeigt, in allen Gruppierungen, wo es asymetrische Beziehungen gibt – und da gibt es kaum noch Bereiche, wo das nicht der Fall ist.

Hinter der “Feststellung” der Bundesjustizministerin, die Kirche tue nicht genug für die Aufklärung oder es gäbe “eine Mauer des Schweigens”, und der ähnlich erleuchteten Antwort von Erzbischof Robert Zollitsch in der er ein Ultimatum stellte, schwelt meines Erachtens ein Grundkonflikt, bei dem ich mir verwundert die Augen reibe, auf welchen Seiten die handelnden Akteure stehen; denn es geht im letzten hierbei um das Subsidiaritätsprinzip. Um das aber genauer zu verstehen, möchte ich das Anliegen der BJM auf ihr Ziel hin näher ansehen.

Ihr Grundtenor ist: Wenn es Missbrauch gibt, ist der Staat zuständig. Er ist unabhängig. Er ist souverän. Er ist gerecht. Er bevorzugt keine Interessen und delegiert Verantwortung für die Erziehung und Bildung an Institutionen, wie staatliche Schulen, aber eben auch an freie Träger. Wenn es Probleme gibt, versteht sich diese Denkrichtung aber auch als berechtigt, die nötige Kontrollfunktion an sich zu ziehen – notfalls auch gegen den Willen jeder einzelnen Interessengruppe. Darum sollen die anderen – vor allem kirchlichen – Stellen anzeigen müssen, wenn sich ein Verdacht auftut – und nicht erst dann, wenn er sich erhärtet.

Und genau das ist es, was mich so irritiert. Das ist ein zutiefst sozialistisches Verständnis vom Verhältnis des Staates zu den Akteuren der Zivilgesellschaft. Der Staat sei, ähnlich wie beim Gewaltmonopol, Träger aller Rechte und gewähre sie untergeordneten Strukturen nur – oder eben auch nicht, wie das in diversen sozialistischen Staaten eben auch nicht gemacht wurde, ob diese Staaten nun international sozialistisch waren oder auch national sozialistisch. Und das ist auch die Stoßrichtung einer großen Berliner Zeitung linker Couleur, die sich hier, sicher noch unbeabsichtigt, mit den Interessen der FDP-Ministerin decken. Die Devise ist hier also: Weg von der Verantwortung der Einzelnen, der Basis, hin zu mehr Zentralisation und Staat. Diese nichtgenannte Berliner Zeitung und der rot-rote Berliner Senat verfolgen dieses Ziel seit einiger Zeit ja schon ziemlich konsequent.

Darüber hinaus frage ich mich, warum erstens die Bundesjustizministerin einen runden Tisch einberufen will noch dazu zweitens mit nur einer gesellschaftlich relevanten Gruppe?

Wenn die Taten verjährt sind, ist es maximal noch ihre Aufgabe über längere Verjährungsfristen nachzudenken. Gesetzt den Fall, der Staat wäre zuständig, wären die Ressorts der Bildungsministerin und/oder die Familienministerin in der Pflicht, weil es um die mögliche Verhinderung künftiger Missbräuche geht bzw um den Umgang mit bestehenden Verletzungen.

eine geheime Agenda

Letztlich geht es bei dieser Art von politischer Rhetorik der BJM um eine m.E. unangemessene Ausdehnung der Zuständigkeit des Staates in Bereiche hinein, die sehr gut auch subsidiär gelöst werden können. Für die BJM ist es ein nicht verbalisierter, wichtiger Schritt hin zu mehr Staat als dem primären und eben nicht mehr subsidiären Träger des Bildungsauftrages. Dazu muss den Eltern dieser primären Erziehungsauftrag zu Gunsten staatlicher Kompetenzen streitig gemacht werden. Es geht ihr also gar nicht um Opferschutz, sondern um Zentralisation von Kompetenzen beim Staat.

Da man heute nicht mehr so schön gleichschalten kann wie früher (verstieße ja auch gegen EU Recht), muss man an den Rahmen basteln. Einführung der Sekundarschulen in Berlin (dort kann man das Abitur auch noch in 13 Jahren machen), bei gleichzeitiger Verpflichtung es in den Gymnasien in einem Jahr weniger zu schaffen. Mit dieser Agenda verknüpft sich bestens  die (unausgesprochene) Forderung nach Abschaffung der Schulen in freier Trägerschaft, weil Erziehung eigentlich Sache des Staates sei, den einige gesellschaftliche Gruppen auf den Schild heben. Da gäbe es jetzt noch viel zu zeigen, wie das versucht wird, aber es soll ja hier nicht um Bildungspolitik gehen. Sie ist nur ein Beispiel.

Es geht ihr um staatliche Kontrolle der katholischen Kirche, nicht um die Opfer des Missbrauchs

Das Festhalten an einem extra runden Tisch nur für die katholische Kirche der BJM ist meines Erachtens genau dieser speziellen, nicht offen ausgesprochenen Agenda geschuldet: Freie Träger, vor allem und zuerst religiös motivierte, hinauszudrängen aus der Erziehung. Ich würde ihr allerdings noch mehr unterstellen. Wenn z.B. die Odenwaldschule mit ihren zu katholischen Schulen diametralen Erziehungsansätzen und noch furchtbareren Missbräuchen nicht eingeladen wird, dann scheint es mir beim Vorstoß der BJM um ein noch anderes Ziel zu gehen, um eine Frontstellung und ein Hinausdrängen von katholischem Einfluss aus dem öffentlichen Leben oder wenigstens dem Versuch es stärker staatlich zu kontrollieren.

Vergessene Wurzeln

Die CDU täte gut daran, zu schauen, was der Koalitionspartner hier tut. Er sägt auch an Prinzipien, die in den letzten Jahrzehnten Säulen der CDU-Sozialpolitik waren – und Deutschland ist nicht schlecht damit gefahren. Eines dieser Prinzipien, die hier massiv angegangen oder von der CDU, aber auch der Kirche selbst, vernachlässigt werden ist genau das Subsidiaritätsprinzip.

“Kurt Biedenkopf fordert von der deutschen Politik eine Rückbesinnung auf die katholische Soziallehre. Sie gehöre zum Fundament der CDU, so der frühere Ministerpräsident von Sachsen im Gespräch mit uns. Allerdings nehme der Einfluss der Soziallehre derzeit deutlich ab, und das habe negative Auswirkungen auf die Gesellschaft:

„Zu den entscheidendsten Momenten der katholischen Soziallehre gehört in meinen Augen das Prinzip der Subsidiarität. Das heißt: den kleinen Lebenskreisen Raum geben, angefangen bei der Familie – genug Raum geben, um die Leistung, die sie selbst erbringen können, auch zu erbringen. Wir haben dieses Prinzip praktisch abgeschafft. Wir haben in den Sozialsystemen eine hochgradige Zentralisation und damit Anonymisierung und Bürokratisierung – mit der Folge, dass die Menschen untereinander nicht mehr wissen, wer etwas für wen leistet, und aus diesem Grunde alle vom Staat Leistungen verlangen. Ohne das Subsidiaritätsprinzip ist eine wirklich gute, soziale Ordnung nicht zu verwirklichen!“ 14.02. in der Sendung „Menschen in der Zeit“. Vgl Radio Vatican

Was haben nun aber unsere FDP Justizministerin, die Sozialistische Internationale oder auch nationale Sozialistische Ideen gemein? Erstaunlicherweise sehr viel. Unter mancher Rücksicht eine ziemlich totalitäre Sicht auf den Menschen und vor allem einen ebensolchen Anspruch auf.

Nicht nur politische Institution haben diesem blinden Fleck

In unserer heutigen globalisierten Welt scheint dieser Aspekt der Soziallehre wie ein Relikt aus uralten Zeiten. Vieles wird heute fusioniert, zentralisiert und effizienter gestaltet. Gesetze – selbst Benennung von Marmeladen und Konfitüren – muss man in einer EU-Zentrale entscheiden. Das ist leider nicht nur in der Politik der Fall. Auch in der Kirche wird zentralisiert, fusioniert etc, als wäre das Subsidiaritätsprinzip nur etwas für die Welt da draußen. Doch wenn es ein grundlegendes Prinzip ist für die Welt in der Christen wirken, muss es das auch für die Kirche sein. Und das ist es auch. Schauen wir uns das mal genauer an.

Erneuerung aus einem demokratischen Jungbrunnen

Biedenkopf gibt das Prinzip folgendermaßen wieder: “den kleinen Lebenskreisen Raum geben, angefangen bei der Familie – genug Raum geben, um die Leistung, die sie selbst erbringen können, auch zu erbringen.” Das ist zwar erst ein Teil des Prinzips, aber m.E. der entscheidende, der heute gern vernachlässigt wird; denn er setzt bei der Freiheit an. Einer Freiheit freilich, die geschützt werden muss gegen den Zugriff derer, die den Menschen den Umgang mit dieser Freiheit letztlich nicht zutrauen, bzw ihn den Menschen gar nicht zutrauen wollen, weil sie vielleicht auf die dumme Idee kämen, ihn zu nutzen. In einem subsidiären Gemeinwesen, ist die verantwortlich genutzte Freiheit maximiert und zwar angefangen bei den Einzelnen.

Konsequenzen aus dem Subsidiaritätsprinzip für die gegenwärtige Diskussion

Aber natürlich existiert hier  unstrittig ein Problem – auch trotz der Verzweckungsversuche von diversen Gruppen. Was gewönne man in der Frage nach dem Umgang mit den Gewalttaten durch  das Subsidiaritätsprinzip? Gibt es Konsequenzen, die sich schon jetzt ziehen lassen.

Die erste Konsequenz wäre, m.E. zuerst einmal Abschied zu nehmen von den schnellen Konzepten von oben. Die einen wissen gleich alles, ohne mal hingehört zu haben, es bräuchte längere Verjährungsfristen, es bräuchte schnelle Entschädigungen, es bräuchte dieses oder jenes oder eben auch runde Tische mit nur zwei Partnern, der eine der belehrt und den anderen, der belehrt wird. Aber auch die, die immer gleich abwiegeln werden dem Phänomen nicht gerecht Einzeltäter, es würde aufgebauscht, viele Trittbrettfahrer wären jetzt da wegen des Geldes.

Die zweite Konsequenz wäre radikal auf der Seite der Opfer den Ansatz zu suchen. Erst einmal wirklich zuhören, was diese zu sagen haben. Dann hörte man nämlich zum Beispiel (auf der letzten Pressekonferenz mit RA Frau Raue), dass 80% überhaupt nicht an Entschädigungen gedacht haben, dass viele gar nicht den Weg zur Staatsanwaltschaft gehen wollten und wollen, denn das hätten sie so auch allein gekonnt. Es geht bei dieser Konsequenz erst einmal darum, die Überlebenden der Gewalttaten zu Wort kommen zu lassen, ohne schon immer gleich Konzepte im Kopf zu haben und sie damit gleich wieder zu Opfern zu machen.

Die dritte Konsequenz wäre dann in den Gesprächen zu sehen, was sich ergibt als ein guter nächster Schritt und zwar immer unter Beteiligung der Betroffenen. Keinen Schritt zu tun, ohne oder gar gegen den Willen der Opfer, damit sie nämlich die Opferrolle hinter sich lassen können und selber entscheiden können, was gut für sie ist – sei es nun mit Hilfe der Staatsanwaltschaft oder auch eben ohne dieselbe; und das hätten dann beide zu akzeptieren die Organisationen, in denen die Täter sind, und die staatlichen Stellen. Dieser institutionalisierte Raum des Zuhörens ist um so wichtiger, als eine der Mechanismen, die Opfer zum Verstummen bringen, die Angst ist, ihnen wichtige Personen oder Institutionen zu gefährden, was sie zudem erneut der Gefahr aussetzt marginalisiert zu werden von denen, die sich bedroht fühlen.

Erste Reflexionen auf die Opferberichte

In einer zweiten Welle, der Reflexion auf die Opferberichte, ergäben sich dann weitere Konsequenzen. Einige kann man denke ich schon jetzt sehen. Es geht dabei im letzten um die Frage: Wie konnte es sein, dass jahrelang weggehört wurde, dass jahrelang Gerüchte kursierten über Grenzüberschreitungen und das bei Schulen jeglicher Couleur egal ob die Träger und Täter katholisch, reformpädagogisch waren oder auch der Staat.

Das erste, was sich bisher gezeigt hat ist, dass es vor allem die geschlossenen, asymetrischen Systeme sind, die anfällig sind für Gewalttaten, weil die Täter, die in einer Vertrauensbeziehung zu den Opfern leben, dort lange damit rechnen können, nicht entdeckt zu werden, weil den Kindern oft der Eindruck vermittelt wird, sie selber seien Schuld oder die anderen dürfen das ja. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob diese Verbrecher an den Kinderseelen katholisch, reformpädagogisch, muslimisch oder staatlich verortet sind.

Das zweite, was sich bisher gezeigt hat ist, dass es einen Willen geben muss, Opfern einen Raum zu geben, wo sie sprechen dürfen, einen geschützten Raum allerdings, aus dem Informationen nur dann dringen, wenn das Opfer selbst seine Einwilligung gibt und dadurch zu einem Überwinder der eigenen Opferrolle werden und Heilung an der verwundeten Seele beginnen kann. Wenn sich diese Ansprechpartner nur als Briefkasten für die Justiz verstehen oder auch nur diesen Eindruck vermitteln, verstummen die Opfer wieder, zumindest die, die sich nicht an die Justiz wenden wollen. Und das ist nach meinem bisherigen Eindruck sogar die Mehrheit.

Das Dritte, was sich gezeigt hat ist, dass diese Stelle unabhängig von der Trägerinstitution, aber auch unabhängig vom Staat sein muss, damit wirklich das Opfer im Zentrum stehen kann. Diese Ombudsperson darf also nicht durch Loyalitäten gegenüber den Tätern, aber auch nicht durch eine Berichts- oder Anzeigepflicht gegenüber staatlichen Autoritäten gebunden sein, sondern nur dem, was für das Opfer das Beste ist. Und natürlich braucht diese Stelle ein echtes Mandat der Institutionen, um Nachforschungen anstellen zu können bzw diese in Auftrag geben zu können. Das führte zu mehr Transparenz in hermetischen Welten.

Das Aschenputtel unter den Prinzipien der Soziallehre

Diese drei Konsequenzen und drei Reflexionen sind glaube ich auch genau der Grund, warum das Subsidiaritätsprinzip das Aschenputtel unter den Prinzipien der katholischen Soziallehre ist, sowohl im Staat als auch in der Kirche. Es ist im letzten die Angst vor der Freiheit des Einzelnen, “weil die anderen diese Freiheit ja missbrauchen könnten.” Aber Angst ist eben nie ein guter Ratgeber und auch das Gegenteil vom christlichen Glauben, der ja bekanntlich ein Leben aus dem Vertrauen in Gott ist. Außerdem bedeutet ein Missbrauch nicht, dass die missbrauchte Sache schlecht ist, sondern vor allem der entsprechende nicht angemessene Umgang und Umgebungen, die diese Übergriffigkeiten und verdunkelnden Strukturen befördern.

Missbrauch gab es immer und wird es auch immer geben. Diese Möglichkeit gehört zur dunklen Seite der Freiheit des Menschen. Dagegen kann man zwar durch Ausbildung Sensibilisierung graduell etwas machen, aber letztlich bleibt immer der Raum, wo sich das Individuum auch zum Bösen wird entscheiden können. Aber wir können etwas dafür tun, dass auf der strukturellen Ebene das Subsidiaritätsprinzip stärker seine heilende Kraft entfalten kann durch eine höhere Transparenz. Wir können etwas dagegen tun, dass sich wieder Räume bilden, wo Schutzbefohlene oder abhängige Personen sich allein gelassen und ausgeschlossen fühlen.

Mehr will ich an dieser Stelle gar nicht sagen. Mir ging es hier nicht zuerst um eine Auseinandersetzung mit der Tagespolitik. Mir ging es um eine Illustration eines grundsätzlichen Problems, was ich in meinem ersten Artikel anhand der Energiepolitik eingeleitet hatte, was sich  aber eben auch im Umgang mit Verbrechern und Opfern von Gewalttaten zeigt. M.E. führt eben genau die Angst vor der suspekten Freiheit der Einzelnen zu einem Verdrängen des Subsidiaritätsprinzips aus Gesellschaft und Kirche.

Ausblick

Im nächsten Artikel soll es darum gehen zu zeigen, wie man ausgehend vom Subsidiaritätsprinzip die Kirche und die Gesellschaft neu gestalten könnte, wenn wir dafür noch genügend Zeit hätten – aber die tickt weltweit leider immer schneller werdend für ein böses Erwachen.

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