Lange habe ich ja geschwiegen und überlegt wie es jetzt weitergehen soll mit der Artikelserie, aber die jetzige Debatte anlässlich des Memorandums von ca 1/3 der deutschsprachigen Professoren weisen ja schon eindeutig den Weg dafür, was als nächster Artikel dran sein soll.
Da fordern deutsche katholische Politiker die Zulassung von viri probati (=erprobte Männer), also von verheirateten Männern zum Priestertum und ein Kardinal Brandmüller wirft ihnen vor, sich in innerkirchliche Angelegenheiten einzumischen. Professoren veröffentlichen einen Grundsatzartikel und Manfred Lütz bezeichnet das Dokument dieser Professoren als Zeichen der Resignation und Verzweiflung legt den Unterzeichnern nahe zur evangelischen Kirche überzutreten, weil alles, was an konkreten Forderungen dort aufgelistet sei, in der evangelischen Kirche schon 1:1 zu finden sei. Die Deutsche Bischofskonferenz begrüßt in einer Stellungnahme, dass sich die Theologen am seit 20 Jahre laufenden Dialog beteiligen wollen, sieht aber im Papier nicht mehr als eine Zusammenfassung der bisherigen Diskussionen und viele hinreichend bekannte Positionen, die mit der Lehre in einer gewissen Spannung stünden.
Wie verstehe ich das Papier und den jetzigen Aufruhr
In der Tat sehe ich in diesem Papier auch einen Aufschrei darüber, dass sich seit Jahrzehnten strukturell in der Kirche nichts tut. Lehre und Leben der Gläubigen klaffen weltweit – und nicht nur in Deutschland – immer weiter auseinander; vor allem im moralischen Bereich.
Ja, das Rad scheint von amtlicher Seite sogar zurückgedreht zu werden. Experimente mit den hinreichend bekannten Problemen umzugehen, werden zurückgenommen. In Limburg wurden ein oder zwei Gemeindeverbünden nicht mehr von einem Pfarrer direkt geleitet, sondern von einem Pfarrteam begleitet. Das wurde vom neuen Bischof abgesägt, um wieder eine schöne Kirche zu haben, die mit dem Kirchenrecht konform ist, aber natürlich leider auch keine Antwort gibt auf die Probleme der Gegenwart. Da werden in anderen Diözesen Laienvertretungen abgewürgt, und in der Theologie werden mit Denkverboten Diskussionen beendet, bevor sie überhaupt stattgefunden haben. In moralischen Dingen wagt mittlerweile kaum noch ein deutscher Theologe laut nachzudenken, weil er Angst haben muss, gleich mit der disziplinarischen Keule eins übergebraten zu bekommen, wenn er nicht gleich zum Abschuss freigegeben ist in einem Verfahren, von dem er erst erfährt, wenn er verurteilt ist. Insgesamt gibt es wirklich eine eklatante und verheerende Schweigekultur in der Kirche und – da haben die Schreiber des Memorandums recht – das hat überhaupt nichts mehr zu tun, mit dem Geist Jesu.
Kapitel Brandmüller
Als Gipfel der Genüsse spricht Kardinal Brandmüller dann auch noch Mitgliedern des Leibes Christi, die alle seit der Taufe teilhaben an Christus, der gesalbt ist zum Priester, König und Propheten, ab, sich an Diskussionen in der und zur Kirche zu beteiligen. Ja, wer ist denn Kirche?!? Doch nicht nur der Klerus! Es ist genau diese Arroganz der Macht, die zu solchen zutiefst häretischen (im weiteren Wortsinn) und verletzenden Ausführungen führt. Wer den Zölibat in der heutigen Form sieht, kann sich dafür frühestens auf die Provinzsynode von Elvira (wahrscheinlich beim heutigen Granada/Spanien) berufen (305), eigentlich aber erst auf den hl. Hieronymus. Was sich im Fall Brandmüller aber besonders deutlich zeigt ist, wie die oben beklagte Schweigekultur funktioniert: Denkt jemand ergebnisoffen nach, riskiert er, von Rom gemaßregelt zu werden, weil er „Jesus selbst beleidigt“ wie Brandmüller den deutschen Politikern vorgeworfen hat. Mein Rat: Hirn erst mal einschalten. Zuhören lernen. Unterscheiden lernen zwischen theologischen, iuristischen etc Argumenten. Dann erst in den Lehrmodus gehen.
wie sieht das von der römischen Seite her aus
In der Tat hat das Manfred Lütz gut zusammengefaßt: Alles, was die Professoren an konkreten Maßnahmen fordern, hat die evangelische Kirche schon vorbildlich umgesetzt. Sie müßte daher prosperieren bis es weh tut, wenn das die Lösung wäre. Schaut man sich aber die evangelische Kirche an, sieht man, dass dem nicht ganz so ist. Im Kampf mit den Problemen haben die Landeskirchen zwar etwas andere Konfliktfelder. Es sieht nicht so aus, als hätten die von den Professoren vorgeschlagenen Lösungen irgendetwas mit einer grundsätzlichen Lösung unserer Probleme zu tun.
Genau genommen wird man das von Rom aus noch nicht mal konstruktiv sehen, was da gesagt worden ist; denn da wird die Aufhebung des Pflichtzölibates auf einer Ebene genannt mit Anerkennung von homosexuellen Partnerschaften und dem wirklich riesigen Problem der wiederverheirateten Geschiedenen – und zwar als Problem, das nur in die Gewissensrechenschaft jedes einzelnen gehört. Da werden drei Problemfelder miteinander vermengt, die wirklich getrennt behandelt gehören; denn zum Zölibat für Priester und Bischöfe sagt die Bibel nichts verpflichtendes, zur Ehe schon mehr und zu homosexuellen Partnerschaften auch und anders gelagertes. Das kann man nicht einfach in einem Atemzug unter „persönlicher Gewissensfreiheit“ bzw „moralischem Rigorismus“ behandeln. Man fordert einen Dialog über die Probleme, nennt aber die Ergebnisse desselben gleich mit. Ich meine, dass es da neben dem wirklichen Hören aufeinander auch ein Hören auf Gott braucht und zwar beides strukturell verankert im Prozess.
Was mich zornig macht
Das sind eigentlich zwei Dinge. Auf der einen Seite finde ich den Aufruf zum Dialog wirklich nötig und es ist in der Tat fünf vor zwölf. Da werden sehr zu recht Formen der Beteiliung für alle Gläubigen gefordert, die es sowohl in der Urkirche, als auch der Reichskirche gab (man denke nur an die Art und Weise der Bischofsernennung beim hl. Ambrosius), also auch in späterer Zeit immer wieder. Gleichzeitig aber werde ich das Gefühl nicht los, dass man die Kirche eigentlich „demokratisieren“ will unter allen, die formell getauft sind (also auch Inhalte der Bibel und „Wahrheit“ letztlich die Allgemeinheit abstimmen lassen möchte) – und das ist sicher nicht biblisch! Es gibt sehr viele in der Kirche, die Jesus persönlich nicht kennen und die dann mitreden, wie Kirche aussehen soll. Diese gibt es zuhauf im Volk, aber eben auch unter Theologen und auch unter Priestern. Darum ist es um so wichtiger, dass die Entscheidungsträger (Amt) geisterfüllte Menschen sind, und das ist etwas anderes als intelligent zu sein und die Methoden der Wissenschaft zu kennen. Aber auch über die Art, wie heute in der Kirche Entscheidungen fallen, ist nachzudenken. So wie wir es heute kennen, ist das ein (unbeabsichtigtes) Produkt Napoleons. Er hatte die große Bedeutung der gallischen und deutschen Kirchen zerstört und Rom allein als Zentrum übrig gelassen. Seither findet ein ungebrochener Trend zur Zentralisierung aller Entscheidungen statt, unterbrochen nur kurz für ein Jahrzehnt durch das 2. Vaticanum. Zentralisierung aber widerspricht fundamental dem Subsidiaritäsprinzip. Ich würde es sogar als Verrat am Grundimpuls des Christus bezeichnen. So wie heute das Amt auf die Probleme in der Kirche reagiert (ich bin natürlich Teil des Amtes), ist es ein multimorbides Desaster auf vielen Ebenen. Worin besteht dies?
1. Ebene: Wahrnehmungsstörung
Das erste, was mir auffällt, spricht schon die Bischofskonferenz an. Der Dialog über die Strukturen geht schon seit 20 Jahren – und nichts substantiell Tragfähiges ist bisher geschehen. Jedes Experiment ist im Sande verlaufen oder wurde zurückgedreht. Nun ist die Kirche hierarchisch verfasst. Dem gehört auch meine ganze Sympathie. Es war über 2000 Jahre gut so*. Jetzt gibt es aber ein Problem. Immer mehr Entscheidungspositionen werden nicht mehr besetzt. Kann man locker lösen, indem man die Cluster vergrößert – sprich Pfarreien zusammenlegt, rechnerisch super. Theoretisch ganz praktisch, praktisch aber total theoretisch. Die Verwaltung nimmt zu und die Seelsorge verdunstet. Heute sind ca 3/4 der Pfarrer 60 Jahre und älter (mal schwarzseherisch geschätzt. Die Zahl habe ich nicht erruiert, sondern ist mein Eindruck, wenn ich im Klerus unterwegs bin). Die meisten engagierte und fähige Leute, die – je nach Bistum – über 2 bis 7 Pfarreien betreuen. Jetzt verrate ich mal ein Geheimnis: Alterung kommt auch im Klerus vor und es kann sein, dass viele der heute 60jährigen in 10 – 15 Jahren 70 bis 75 sind. Dann wird ein Pfarrer rein rechnerisch, wenn große Katastrophen ausbleiben 4 bis 24 Pfarreien verwalten. Das, was in vielen evangelischen Landeskirchen schon jetzt die Norm ist. Aber sicher wird es in Zukunft in jeder Pfarrei viele Menschen geben, die super zusammenarbeiten und jegliches Besitzstandsdenken wird dann aus kirchlichem Leben verschwunden sein. Ich möchte mal ein Bild gebrauchen. Die Kirche wird gern als Leib Christi bezeichnet und das ist sie. Der Klerus ist in diesem Bild sicher so was wie das Knochengerüst. Für das was wir jetzt erleben, gibt es ein Krankheitsbild, das nennt sich Osteoporose, Knochenschwund. Ignorieren ist da sicher nicht die angemessenste Therapie.
2. Ebene: angstgesteuert
Es gibt relativ viele Religionslehrer, Professoren und auch Laien, die die christliche Religion lediglich als super Kultur sehen und Gottesdienst maximal als pädagogische Ausdrucksform, wie das Theater. Die persönliche Erfahrung, Jesus als Freund und Herren zu kennen, ist ihnen wahrscheinlich suspekt. Religion läuft im besten Fall nach Kant ab – sehr rational. Was in der Bibel sein kann und was nicht, was relevant ist und was nicht, wird erst mal am Dogma der „Vernunft“ überprüft – und sagte nicht auch schon der hl. Thomas von Aquin, dass Glaube und Vernunft kein Gegensatzpaar sein könne? Aber sie sind eben auch nicht auf eines reduzierbar.
Jetzt werde ich den Verdacht nicht los, dass viele im höheren Amt meinen, alle anderen sind aufklärungsverseucht und ähnlich wie früher alle unter der Erbsünde litten, trübte nun die Aufklärungsideologie ihren religiösen Verstand – nur halt ihren nicht. Darum dürfe man unter keinen Umständen diesem liberalen Gesocks nachgeben, denn diese Krankheit wäre ansteckend – und sie wüßten nicht, was sie tun, wie der Herre mal so weise gesagt hatte. Anfügen könnte man: Viele Leitende wissen es zwar auch nicht, was sie tun sollen, aber wehe ein anderer denkt darüber nach oder tut gar was. Da könnte sich die Kirche ja wandeln – aber dafür gibt es nur einen erlaubten Ort in der Kirche.
Letztlich werde ich den Eindruck nicht los, dass genau das die Sorge ist, die viele Würdenträger und andere treibt. Sie sind angstgetrieben. Das gilt aber leider nicht nur für die amtliche Seite. Die letzten zwei Sätze des Memorandum als Zitat aus der Schrift wiedergegeben, spiegeln für mich genau diese Angst auch wieder und klingen wie das Pfeifen des Kindes im Keller. Angst ist leider kein guter Ratgeber.
3. Ebene: strukturelles Misstrauen
Strukturen schaffen zwar kein Leben, aber jedes Leben schafft sich natürlich Strukturen. Angstgeleitetes Leben schafft sich pathologische Strukturen. Eine amtliche pathologische Struktur ist die Denuziationsunkultur, die zur Zeit existiert. Da wird offensichtlich kranken Leuten eine Bühne geboten, und selbst Bischöfe geraten in ein schräges Licht, weil man erst mal allen Denuzianten und „Boten des Untergangs“ eher glaubt, als den eigenen loyalen Leuten. Solche Strukturen gibt es aber auch auf der anderen Seite, wo die Lehre der Kirche lächerlich gemacht wird als gestrig, überholt, und nicht mehr versucht wird, das zu bedenken und vermitteln, was sie eigentlich sagen will.
Eine zweite Folge des Misstrauens ist Zentralisierung. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, hieß es schon in der Preußischen Heeresordnung. Darum möglichst wenig Entscheidungskompetenz nach unten abgeben, „die könnten das ja mißbrauchen“. Und Recht haben sie! Sie könnten es, denn der Konjunktiv hat immer recht!
das eigentliche Problem
Was mich an der ganzen Debatte aber wirklich so traurig macht, ist dass das eigentliche Problem gar nicht angegangen wird. Denn die einen verkünden Moral, die anderen die Vernunft, aber eigentlich fehlt den Menschen Christus. Wieviele Firmkurse gibt es, nach denen man sagen muss, die Leute wissen immer noch nicht, wie sie anschließend beten sollen? In der Firmung soll der mündige Christ Ja sagen zu seiner Teilhabe am dreifachen Dienstamt Christi als Priester, König und Prophet (wohlgemerkt genau in dieser Reihenfolge). Das erste und wichtigste ist der Priester. Im Griechischen steht hier „Hiereus“ (also nicht zu verwechseln mit dem Amtspriester, der in der Bibel „Presbyter“, „Ältester“, genannt wird). Aufgabe des Priesters war es, mit Gott in Kontakt zu stehen für das Volk. Jeder einzelne Christ muss also mit Gott in Verbindung stehen. Dann kann er König sein und aus seiner priesterlichen Weisheit heraus mitreden und mitentscheiden. Als Prophet hat er zu hören, was der Hl. Geist heute zur Situation sagt, um die Menschen zu warnen oder zu ermutigen.
Resume
Ich glaube, dass wir uns gerade in einem Gefecht um einen eitlen Schein befinden, das viele geistliche Tote fordern wird. Unsere schweren Geschütze sind an einer Front aufgefahren, wo wir uns nur selber zerstören können, aber nicht auf das eigentliche Problem ausgerichtet sind: die Glaubensverdunstung aus der Kirche. Wir müßten dagegen zuerst unsere Mitchristen ermuntern und ermächtigen, in einer lebendigen Beziehung zu Jesus zu leben und aus Ihm heraus zu leuchten und zu handeln. Das hieße einerseits Buße zu tun für die eigene Angst, Arroganz und Härte, aber eben auch Vertrauen lernen – und zwar von allen Seiten her.
Ich glaube darüber hinaus, dass es für die Strukturdebatte – ähnlich wie für die Rettung des Weltklimas – mittlerweile viel zu spät ist. Die globalen Katastrophen werden kommen. Für die Kirche wird das bedeuten, dass von dem, was wir in Deutschland als amtliche katholische Kirche kennen, in 20 Jahren nicht mehr viel wiedererkennen werden (man schaue nur zurück, wie es vor 20 jahren in deutschen Gemeinden aussah); denn bei Osteoporose hält das Knochengerüst eben nur bis zu einem gewissen Grad. Das Knochenbrechen aber wird brutal werden vor allem für die ländlichen Regionen, aber letztlich kann man da wohl nicht mehr machen als beten.
Natürlich wird Jesus Sein Wort halten und weiterhin zum Fels stehen, auf den Er Seine Kirche gegründet hat. Es wird weitergehen bis Er endgültig wiederkommen wird. Um die brutalsten Effekte zu mildern gilt es jetzt, dem Subsidiaritätsprinzip zu neuer Geltung zu verhelfen auf allen Ebenen religiös, sozial und gesellschaftlich. Das bedeutet, jetzt müssen wir daran arbeiten, soviele wie möglich zu Jesus zu führen und ihnen helfen, ihr Leben aus dem Glauben heraus zu gestalten, damit sich daraus später dann im Wildwuchs bzw geistgeführt, etwas entwickeln kann, wozu wir jetzt nicht demütig genug waren, einen geordneten Übergang zu schaffen.
* Präzisierung: „Hierarchisch“ heißt nicht „absolutistisch“ wie die Kirche aber zur Zeit real verfaßt ist. Das würde eher aus einem arianischen Gottesbild folgen. Angesichts eines trinitarischen Gottes, also eines Gottes der ganz Kommunikation, Liebe, ist, bedarf es auch eines strukturell verankerten, dialogischen – zum Beispiel synodalen – Prinzipes. Diese Frage hängt auch eng mit der Frage nach dem rechten Verständnis des Primates des hl. Vaters zusammen, über das schon der selige Vorgänger unseres heutigen Papstes JPII in der Enzyklika Ut unum sint bat nachzudenken. (was zB die: Gruppe von Farfa Sabina: Gemeinschaft der Kirchen und Petrusamt. Lutherisch-katholische Annäherungen. 2.2011. Lembeck, Frankfurt am Main. Habe lange nicht mehr so was Solides und Weiterführendes zur Ökumene gelesen.)
Vielen Dank für diesen Artikel, der uns auf das wesentliche schauen läßt! Auf Jesus Christus, ohne Angst und voller Liebe mit unseren Mitchristen. Das ist sicher sehr schwer, aber am Ende der einzig gangbare Weg. Den Kollaps der Kirche sehe ich auch kommen. Und mit Trauer
By: H.Boeselager on Februar 9, 2011
at 20:00