Nachdem ich in den letzten Artikeln lange genug gesagt habe, worin ich die Sackgassen unserer Gesellschaft und Kirche sehe, möchte ich jetzt versuchen, ein paar Linien aufzuzeichnen, wie ich mir eine Entwicklung vorstellen kann. Ich sagte zwar, dass wir keine Zeit mehr haben, ich bin dennoch davon überzeugt, dass Prozesse in der Geschwindigkeit von Revolutionen noch viel mehr Opfer als nötig hervorbringen. Die echte Dynamik des Gottesreiches ist die des Senfkornes. Bevor ich mich größeren Strukturen zuwende, wie es zB jetzt gerade die Kanzlerin im Dialog für Deutschland, beginne ich bei den Anknüpfungspunkten in der Kirche und fange an zu sehen, wo welche Prinzipien greifen können.
Aufgabenbeschreibung
Wenn man sich die bisherigen Artikel ansieht, besteht also die Aufgabe, einen Weg aufzuzeigen, wie das, was sich in den Prinzipien der Soziallehre zeigte, so neu auswirken darf, dass es mehr dem entspricht, was die Bibel und daraus folgend das Lehramt eigentlich meint.
Hinweis des Gottesbildes
Christen haben ein trinitarisches Gottesbild. Das muss Auswirkungen auf die Kirchenverfasstheit haben:
Die erste entscheidende Eigenart Gottes ist seine Einzigkeit und Einheit. Diese aber besteht nicht in einer Einheitlichkeit, wie das zB. ein Stein aufgrund seiner äußeren Form (Uniformitas) hat, sondern in einer Einheit (Unitas), die auch die komplexesten Vollzüge des Lebens beinhaltet, die wir im Universum kennen, eine Beziehung die wir „Liebe“ nennen; denn Gott kann schlechterdings nicht etwas ermangeln, was seine Geschöpfe auszeichnet. Wie wir aus der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus, dem Christus, wissen, ist dem auch so: Gott ist die Liebe. Der ursprunglose Ursprung (Vater) von allem spricht sich (im Sohn) aus steht mit diesem in einer beständigen Beziehung der Ganzhingabe, die wir als „Liebe“ oder den „Heiligen Geist“ kennen. Da in Gott alle Unterschiede und alle Einheit total sind, ist jeder dieser Selbstvollzüge Person. Die Einheit ist aber das Entscheidende. So muss also eine Kirche ihr unterscheidendes Kriterium in dieser gegenseitigen Ganzhingabe haben, die wahr und selbstlos ist sowie den ganzen Leib Christi erfasst, durchdringt und gestaltet.
Folgerungen
Die Kirchenstruktur kann darum keine arianische Pyramide sein, wo von oben ein Befehl gegeben wird, der dann bis in die Verzweigungen ausgeführt wird, sondern muss ständiger Dialogprozess der Liebe sein, wo man den anderen wie sich selbst zuerst und zutiefst als geliebtes Kind Gottes zu verstehen sucht, um sich ebenfalls zutiefst selber zu offenbaren. Die folgenden Schlussfolgerungen sind jetzt nicht als „entweder – oder“ – Sätze zu lesen. Das ist mir ganz wichtig vorher anzumerken, sondern als wichtige Akzentverschiebungen. So wie das Zweite Vatikanische Konzil eine wichtige Ergänzung des ersten war, weil dieses aufgrund des Krieges schon bald abgebrochen worden war, ohne alle nötigen Dinge zu besprechen.
Ein erstes Beispiel: ausbaufähige Kommunikationsformen
Heute erleben wir ja wieder neu wie jetzt immer größere Einheiten geschaffen werden. Der Augsburger Bischof Zdarsa gab unlängst ein schönes Beispiel dafür, wie nicht-dialogisches Vorgehen Spaltungen aus der Mixazeit fortschreibt und die eigentlichen Probleme ignoriert. Was wäre hier ein Vorgehen, wie es von der Bibel her nötig wäre? (S)ein Anliegen des Hirtenbriefes ist ja ehrenwert und wird von – glaube ich – keinem echten Katholiken bestritten, ja im Gegenteil gewünscht: Die Messe als Zentrum des christlichen Lebens einer Gemeinde, die sich mit dem Priester zusammen von Gott dazu am Sonntag einladen lässt, um aus der Fülle dieser Gnade zu leben. Und auch die Priester zu entlasten, ist ein notwendiges und edles Anliegen.
Aber Wortgottesdienstfeiern an Sonntagen sind ja nicht entstanden, weil die Gläubigen kein Bock mehr auf Messe haben, sondern weil in manchen Gegenden schlichtweg kein Priester mehr da ist, der die Messe feiern kann. und wenn der Priester kein deutsch kann, hält sich trotz aller Bemühungen von allen Seiten auch der erbauliche Nutzen des Wortgottesdienstteiles der Messe für die Gläubigen in engen Grenzen. Der Weg zum Ritualismus ist dann auch nicht mehr weit – zumal in großen Teilen des Volkes seit dem letzten Konzil die meisten anderen Gebetsformen weggebrochen sind und neue oft argwöhnisch beäugt werden. Auch das Beharren vieler Gemeinden auf einem Status Quo wird der Situation nicht gerecht. Was wäre hier also ein gangbarer Weg gewesen? Zum Beispiel, in dem Hirtenwort nicht Beschlüsse zu verkünden, sondern zu einem gemeinsamen Beten und Überlegen einzuladen. Welche Ressourcen und Charismen sind in den Gemeinden da? Wie lässt sich das Glaubensleben stärken? Dann kann sich zeigen, dass diese zentralen Gottesdienstorte eigentlich ein guter Gedanke sind. Aber wenn die Alternative zur Messe, nur keine Messe wäre, dann wäre das mE. falsch. Besser als keine Messe ist allemal ein Wortgottesdienst. Aber jetzt gerate ich selber in Gefahr schon Ergebnisse eines Dialogprozesses vorwegzunehmen, der vom Gebet aller Beteiligten getragen ist.
Ein zweites Beispiel: Verhältnis von Bibel und Kirchenrecht
Oft wird ein Dialog schon beendet bevor er beginnt, indem die Keule ausgepackt wird, diese und jene Lösung widerspräche dem Kirchenrecht – basta. Der Umgang des neuen limburger Bischofs mit den Problemen in seinem Bistum ist da ein beredtes Zeichen. Wenn das das einzige Argument gegen eine Neuordnung wäre, müßte man sagen, na dann ändern wir es halt. Es ist ja zu 90 % kein göttliches Recht und soll kirchliches Leben unterstützen und nicht verhindern. Heute dominiert innerhalb der Kirche ganz klar das „kanonische Recht“ das Leben der Kirche. Im (guten) Bemühen aus der Situationsethik Jesu einen Lebensrhythmus für Völker zu entwickeln, wurde vieles verkodiziert, bis die Barmherzigkeit Gottes im Leben vieler Gläubiger erstickt war. Das nannte die rabbinische Tradition auch „einen Zaun um die Thora“ ziehen. Das Ergebnis ist das Leiden so vieler in ihrer Ehe Verlassener, denen man die Barmherzigkeit Gottes vorenthält mit Hinweis auf Menschensatzungen, die vor Zeiten (im katholischen Millieu des 19. Jhds) vielleicht mal passend war. Oder: Dialogprozesse, die nicht getragen sind vom beständigen Hören auf Gott – im Gebet, aber auch im Gespräch mit den anderen, sind ebenso ein Hinweis, dass hier etwas grundsätzlich schief läuft. Ich möchte jetzt hier keiner einfachen Lösung das Wort reden; aber angesichts der millionenfachen Unbarmherzigkeit, kann die Antwort nicht nur im Rückzug auf das Kirchenrecht bestehen und einer verqueren Leidensmystik, die nur Bestehendes stabilisieren will, ohne Rücksicht darauf, ob das wirklich der Wille Gottes ist; denn wir schulden einander die Liebe, nicht den Rückzug auf eine Reglung wie Korban.
Diese Blockaden betreffen keineswegs nur das Eherecht. So ist die verschwiegene Voraussetzung vieler Regelungen, dass die Pfarreien noch übersichtlich genug sind, dass die Verwaltung so nebenher erledigt werden kann. Schaut man sich aber mal den Zeitkuchen an, was Pfarrer leisten müssen, dann fällt auf, dass es Sitzungen sind, Personalführung, Bauaufsicht… Und Zeit für Seelsorge, die Vorbereitung und Zelebration der Gottesdienste sinkt anteilsmäßig unter 10%. Mehr Zeit ist nicht bei einer 60 bis 80 Stundenwoche. Ich glaube nicht, dass es nur mangelnde Berufungen sind, die den Priestermangel hervorrufen. Es ist ganz klar eine göttliche Botschaft.
Das Pferd reitet in die falsche Richtung
In einer Zeit, wo die Kirche nicht wusste, wohin mit all den Priestern ist das Prinzip der Territorialgemeinde extrem ausgebaut worden und im Gefolge des 2. Vatikanischen Konzils auch theologisch immer stärker auf den Schild gehoben worden zulasten der eher territorial orientierten Personalgemeinden, die oft an Klöstern angedockt waren. Die flächendeckende Pastoral der Territorialgemeinden wurde immer feinmaschiger gewoben. Wo es keine Hauptamtlichen gab, wurden halt in den sieben fetten Jahren Stellen, die bislang gut in ehrenamtlicher Tätigkeit funktionierten „professionalisiert“. Im Zeitalter der knappen Kassen aber ist einerseits der Verteilungskampf voll entbrannt, andererseits entstehen in der klassischen Hierarchie klaffende Lücken, die den Grundvollzug der Kirche immer mehr unmöglich erscheinen lassen: dass sich die Gemeinde sonntags zur Eucharistiefeier versammelt, um das eine Opfer Christi zu feiern und nach seinem Geheiß gegenwärtig werden zu lassen. Die deutsche Strukturdebatte in der Kirche ist dafür ein beredter Ausdruck. Ein belgischer Kardinal sagte dazu mal süffisant: Die Deutschen können sich durch die Kirchensteuer eine Menge Probleme leisten. Nunja, das ist natürlich nur die eine Seite der Medaille.
Ich hatte schon in einem der vorigen Artikel gesagt, dass ich weder die jetzige Strukturdebatte noch das Beharren in überholten, absolutistischen und vor allem der Kirche nicht angemessenen Strukturen gut finde. Außerdem fragt sich, ob durch eine noch weitere Verbürgerlichung (Abschaffung des Zölibates…) der Kirche wirklich irgend etwas gewonnen wäre. Mittlerweile würde man nicht mal mehr viel Zeit gewinnen.
Erste Hinweise auf den richtigen Weg
Ein Blick auf die Kirchengeschichte kann helfen. Im Mittelalter litt die Kirche nach dem Wandel, der durch die Völkerwanderung ausgelöst worden war darunter, dass die gesellschaftlichen Strukturen der neuen Reiche mehr und mehr auch in der Kirche ihren Reflex fanden. Ein feudales Verständnis des kirchlichen Amtes führte aber auch dazu, dass sich – wie immer bei fehlender Kontrolle – die negativen Seiten eines Systems durchsetzten. Einige im höheren Klerus waren unerträglich reich, während die Mehrheit der Bevölkerung und auch der niedere, ungebildete Klerus darbte. Katharer in Südfrankreich, Waldenser in Italien sind heute nur die bekanntesten Ketzerströmungen, die die mittelalterliche Gesellschaft und Kirche erschütterten. Sie wurden einerseits zu einem großen Teil ausgelöst durch die massiven, dem Evangelium widersprechenden Zustände im Abendland (vor allem in der Kirche) und andererseits durch die gestiegene Bildung im Umfeld der Kloster- und Kathedralschulen (häufig Kern der künftigen Universitäten), die langsam dazu führte, dass die gesamte Gesellschaft immer christlicher und gebildeter wurde, und sich dieses Umstandes auch bewusster wurde.
Alles Fruchtbare beginnt mit einer Glaubenserneuerung
In dieser Zeit gab es aber auch positive Aufbrüche in, und damit andere als die oft gewaltsamen Ausbrüche aus der Kirche. Der heilige Franziskus zum Beispiel begann nachdem in der Gefangenschaft eine Bekehrung bei ihm begonnen hatte, radikal die Armut Christi zu lieben und alles, was daraus folgte. Wer nichts hat, streitet deswegen mit niemandem darüber. Er wollte niemanden ändern, sondern nur so leben dürfen, wie er es angesichts der Liebe Gottes für richtig ansah. Seine Bewegung, deren Grundlage eine persönliche Radikalisierung des Glaubens war, hatte am Anfang keine Regel. Radikalisierung meint hier, dass die gelebte Beziehung zu Christus ganz und gar die Wurzel (radix) aller Lebensbereiche des Franziskus und seiner Gefährten sein durfte. Das Gebet, der innige vertraute Umgang mit dem Herrn, erreichte eine neue Blüte und durchdrang alles immer mehr. Nach und nach aber schuf die wachsende Zahl der Minderbrüder das, was dann noch zu Lebzeiten des hl. Franziskus der Orden der Franziskaner werden würde. Strukturen und Strukturdebatten schaffen kein Leben, aber neues Leben schafft sich neue Strukturen (vgl. Mk 2,22). Und neues Leben aus dem Glauben, schafft sich auch neue Strukturen, oft auch über das Kirchenrecht hinaus. (Das ist auch logisch, weil Kirchenrecht immer zurückblickt und ordnet.) Das Leitungsbild der Bibel strahlte in den neuen Bewegungen neu auf: Der biblische Hirt geht der Herde voran (Joh 10,11-27); er treibt sie nicht als Herrscher vor sich her (absolutistisches Bild). Der Weg zeigt sich also wieder mal nicht in der Reflexion über Jesus, sondern in der Nachfolge Christi, der uns genau das immer wieder ins Stammbuch geschrieben hat, weil er der Weg und die Wahrheit und das Leben (Joh 14,6) ist.
Der entscheidende Punkt ist: Jeder einzelne persönlich fängt bei sich an zu fragen: Wo widerspricht mein Leben in welchen Bereichen dem Evangelium? Also nicht: Wo handeln die anderen falsch?
Das ist es auch, was der hl. Vater, Papst Benedikt der XVI. In seiner Freiburger Rede bei seinem Staatsbesuch in Deutschland m.E. gemeint hatte. Deutschland habe kein Strukturproblem, sondern ein Glaubensproblem. Nur an den Strukturen rumzubasteln verschafft vielleicht etwas Luft, löst aber das zugrunde liegende Problem nicht. Wenn die vermoste Zisterne fast leer ist, bringt es nichts den Rest immer wieder nur neu verteilen wollen. Man muss die Zisterne säubern und von Gott neu mit seinem heiligen Wasser füllen lassen. Und Gott hat wahrlich kein Ressourcenproblem. Wie also müßte das Problem angemessen angegangen werden?
Subsidiäre Transformation
Jede Einheit (Gemeinde, Ordensniederlassung, Gemeinschaft…) muss anfangen zu überlegen, ob und wie sie sich ändern muss, damit sie aus eigener Kraft glaubens- und damit überlebensfähig wird und bleibt. Dazu bedarf es m.E. einiger Prinzipien, die ich im Weiteren etwas ausführen möchte, die ich aber auch schon eingangs erwähnt hatte im Zusammenhang der christlichen Soziallehre, vor allem des Subsidiaritätsprinzips.
Von der Kraft des Senfkornes oder die Prinzipien
- christozentrisch
- vollständig und entschieden
- subsidiär
- personal (überschaubar) und transparent
- gerecht (biblisch)
- christozentrisch
Das ganz grundlegende Problem Europas ist ein Glaubensproblem. Wenn alles weitere Sinn machen soll, müssen wir uns wieder als Einzelne und als Gemeinschaft von Gemeinden bewusst machen, dass die christliche Religion keine Kultur ist, sondern ein Beziehungsgeschehen. Jeder einzelne Christ ist von Jesus eingeladen in einer einzigartigen Beziehung zu Ihm zu stehen. In ihr erfährt er – und weiß es nicht nur – sich einerseits als geliebtes Kind Gottes, andererseits aber eben auch und gleichursprünglich als Teil des mystischen Leibes Christi. Das schafft dann im Weiteren eine neue oder transformierte Kultur. Das ist jetzt kein theologisches Überbaugelabere, sondern ein ganz fundamentaler Unterschied. Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht (Jes 7,9). Viele, so habe ich heute den Eindruck verwechseln Glaubenswissen (Katechismus) und -reflexion (Theologie) mit lebendigem Glauben. Das ist in etwa dasselbe wie zu meinen, mein gut beschriftetes Herbarium würde dasselbe sein, wie ein blühender Sommergarten. (abgewandelt zitiert nach der hl. Gertrud von Helfta). Das bedeutet jetzt keine Geringschätzung von Theologie, Katechese und Kirchenrecht, aber erste Dinge müssen erste Dinge bleiben. Zentrum ist die Beziehung der Gemeinde zu Gott; dann erst kommt die Reflexion darauf.
Sein theologisches Wissen und seine religiöse Sozialisierung haben den Pharisäer Paulus zu einem eifrigen Verfolger der Christen gemacht. Erst die persönliche Erfahrung des Auferstandenen und die damit verbundene Erfahrung, dass es Jesus in jedem Einzelnen der Gemeinschaft ist, den er verfolgte, haben Paulus radikal tiefer verstehen lassen, was sein Wissen be- und auf wen es hindeutete. Jesus hatte ihm das Verständnis, besser den neuen Schlüssel für die Relecture der Schrift und seines Lebens gegeben. Wie viele Christen gibt es heute, die Jesus nicht persönlich kennen als jemand, mit dem man reden kann, der einem Kraft gibt, der zu einem spricht und zwar nicht nur durch die Heilige Schrift, sondern auch im Gebet und anderen Formen, in denen Gott sich auch heute genauso offenbart wie zur Zeiten der Apostel?! Er ist ja schließlich derselbe gestern, heute und in Ewigkeit (Hebr 13,8).
- Vollständig und entschieden
Jesus beruft nicht Einzelne zu einer Beziehung zu sich, sondern Einzelne in eine Gemeinschaft mit Gott; das ist die Kirche. Sowenig wie ein Arm getrennt von einem Menschen über lange Zeit allein Arm sein kann, sowenig kann ein Mensch getrennt von der Kirche Christ sein. Jede christliche Gemeinschaft (Koinonía, Communio) muss sich überlegen, wie und ob sie auch allein die drei Grundvollzüge christlichen Lebens leben kann: Liturgía, Diakonía, Martyría, also Glaube feiern, leben, bezeugen (Apg 2,41-45) und wie sie mit dem Gesamt in Beziehung stehen kann. Jede Gemeinschaft wird stagnieren oder gar eingehen, wenn sie auf lange Sicht einen der Vollzüge gering achtet.
Im ersten und wichtigsten Punkt der Liturgía (Klassisch: Messe und Stundengebet) sind die Gemeinschaften für die Vollform auf Priester (Presbyteroi) bzw Bischöfe (episkopoi) angewiesen. Schon in der Antike gilt ja, dass die Kirche da ist, wo sie um ihren Bischof (Symbol Christi) versammelt Eucharistie feiert. Dieses Verständnis ist zuerst verbaliter bei Ignatius von Antiochien (+117) greifbar. Aber schaut man sich das Ende des 2. Kapitels der Apostelgeschichte an, sieht man, dass nicht nur das Brotbrechen zur Liturgie gehört, sondern auch das Gebet im Tempel und eigentlich in jeder Situation des christlichen Lebens sei es allein oder in Gemeinschaft. Ohne dieses Gebet droht die Messe zu einem Formalismus zu werden genauso wie die Radnabe ohne die Speichen und das äußere Laufrad sich nutzlos dreht.
Deswegen gehört der zweite Punkt, die Speichen, die Martyría ebenso unabänderlich zum Grundvollzug von Kirche. Jeder einzelne Christ muss seinen Glauben vertiefen (betend lernen) und ihn weitergeben (betend lehren). Unsere Rede muss durch Taten im Leben gedeckt sein. Man muss sich hier vor allem vor der Heuchelei hüten, die ein großes Gift ist. Wobei den schlimmsten Effekt der Heuchler selbst erfährt, denn er geht der Kraft verlustig, die aus dem voll gelebten Evangelium erwächst. Außerdem neigen Heuchler häufiger zu dogmatischer Enge, weil sie nicht selbstverständlich aus einer Wahrheit leben, die nicht zerstört wird durch pastorale Kompromisse; denn Heuchler können wesentlich schlechter zwischen Identitätsbildendem und eher Periferem unterscheiden, weil sie so in Anspruch genommen sind mit der Tarnung ihrer Maske, aus Angst jemand könnte entdecken, wie es dahinter wirklich aussieht.
Der dritte Grundvollzug, gelebtes christliches Leben, ist gleichsam das Laufrad in diesem Bild. Die Diakonía (lat: Caritas) darf nicht nur auf einige wenige Profis outgesourct werden, sondern muss zum Grundvollzug jeder Gemeinschaft gehören, sonst wird ihr Leben blass. Die Hand des Armen ist die Klinge zur Tür des Himmelreiches, wie ein Kirchenvater diesen Punkt sehr plastisch beschrieb. Doch muss man sich hüten, diesen Bereich alles andere dominieren zu lassen, selbst in der Lehre, weil er heute so viel verständlicher rüberkommt. Dann bleibt nämlich nur ein Humanismus übrig, der wie eine Schnittblume ist und dem die Wurzel fehlt.
Alle diese drei Punkte gelten für jeden einzelnen Christen. Denn in der Taufe ist jeder Einzelne zum Priester (Hiereus), König und Propheten gesalbt worden. Als Priester muss ich selber mich und unsere Welt vor dem Herrn ins Gebet, also meine Beziehung zu Gott, bringen. Als König habe ich die Aufgabe, aus dieser Beziehung heraus mein Leben selbstverantwortet christlich zu gestalten, um nicht nur Mitläufer sein. Als Prophet muss ich davon reden, was Gott in dieser Situation sagt oder will. An dieser Stelle noch ein Hinweis. Diese Existenz als Priester (hiereus) gilt für jeden Getauften. Dadurch ist man Teil des priesterlichen Gottesvolkes (Petrusbrief). Was aber nicht existiert ist ein sogenanntes allgemeines Priestertum, mit dem man das Weihepriestertum (presbyteroi) relativieren will. Das allgemeine Priestertum so (als Relativierung) verstanden, ist kein biblisches Konzept, sondern eine neuzeitliche Erfindung. Es taucht in der Bibel nicht auf.
Selbstredend kann man diese drei Dinge nicht mal so nebenbei oder nur zu bestimmten Zeiten leben. Es braucht eine treue Entschiedenheit in der Hingabe, die in allen drei Dimensionen wächst. Da wo nicht mein Schwerpunkt liegt, muss wenigstens meine Wertschätzung dafür wachsen.
- subsidiär
Wenn jede Einheit alle wichtigen (auch wirtschaftlichen) Vollzüge lebt, kann endlich auch die den Glauben zerstörende Zentralisierung beendet werden, die die Christen in einer regredierten Unmündigkeit belässt. Darin sind wir zwar auch nicht viel besser oder schlechter als andere in vielen organisatorisch vergleichbaren größeren Strukturen wie Parteien und Gewerkschaften; aber Zentralisierung ist in der Kirche einerseits eben heftiger, andererseits auch wesensfremder, weil nicht dem trinitarischen Gottesbild entsprechend, sondern eher einem arianischen. Der Heilige Vater hat das Problem mit der Überstrukturalisierung in deutschen Landen in seiner Freiburger Rede angesprochen und das ist richtig, denn unsere Kirche erstickt zum Teil daran, dass in vielen Ebenen der Mitgliederschwund sich nicht in gleicher Weise im Abbau des „Überbaus“ ausdrückte. Aber dieses Problem und das prophetische Wort des Hl. Vaters betrifft eben nicht nur die sogenannte Peripherie, sondern auch das Zentrum, Rom.
- personal und transparent
Angesichts von Pfarrgrößen, die zur Zeit bei bis zu 20.000 Personen pro Priester liegen und wo es realistisch bald 40.000 pro Priester sein werden, ist Gemeinde als Ort von Heimat und der Priester als Seelsorger so nicht mehr möglich. Einheiten des Glaubens müssen klein genug sein, damit Heimat erfahren werden kann aber groß genug, um Luft zum Atmen zu haben. Da kann ein Blick in die Schwesterkirchen in Afrika, Asiens und in manchen Bereichen Süd- und Mittelamerikas helfen. Dort ist das Verhältnis „Gläubige : Priester“ noch ungünstiger und das um den Faktor 10. Darum gibt es in vielen Gemeinden kleinere Gemeinschaften, die den Glauben weitertragen und das auch in die Anforderungen des Alltags hinein; denn wie in allen Gesellschaften gibt es auch dort eine Landflucht, die die Großfamilien zerreißt. Sakramentalien (Handlungen wie Segnungen, Beerdigungen etc) aber auch die Sakramentenvorbereitung, wie auch das Glaubensleben überhaupt (Bibelkreise, Gebetsgruppen…) läuft dort in solchen kleineren Einheiten. Solche subsidiäre Einheiten sollten überall (Pfarreien, Schulen, Freundeskreise…) entstehen, gelebt und eingeübt werden; und diese entwickelt man am besten aus bestehenden Strukturen heraus. Letztlich müssen hier neue Gemeinschaften entstehen, in denen Verbindlichkeit, Treue, Transparenz und Glaube blühen können.
Eingeübt werden muss gleich ursprünglich dazu die Vernetzung zu den über- (Pfarrei, Diözese…) und parallelgeordneten, vergleichbaren Strukturen sowie deren strukturelle Transparenz, damit die Gefahr der hermetischen (=nach außen abgeschlossene) Systeme vermieden wird, die anfällig sind für Missbräuche aller Art; denn wo Missbräuche leicht vorkommen können, kommen sie auch leicht vor. Das ist auch keine kirchliche Spezialität, sondern eine Dynamik menschlich hermetischer Systeme.
- gerecht
Denke global, handle lokal. Das ist eigentlich noch zu begrenzt ausgedrückt. „Gerechtigkeit“ in biblischem Sinn ist eine Kategorie, die darauf abzielt, dass alles in einem guten Verhältnis zueinander steht. Wie sieht dieses aus? Im ersten Schöpfungsbericht lesen wir, wie Gott an den einzelnen Tagen tolle Dinge ins Dasein ruft. An Ende jeden Tages sah Er, dass es gut war. Erst am letzten Tag wenn er auf das Gefüge von allem sieht, sieht er, es ist sehr gut. Das Ziel des Ganzen war aber nicht der Mensch, sondern die Krone der Schöpfung ist der siebte Tag, das Ruhen Gottes in seiner Schöpfung, wo alles zueinander und zu Gott im richtigen Verhältnis steht. Das nennt die Bibel im Vollsinn Gerechtigkeit. Wenn man sich die Gemeinschaften also anschaut und das Gesamtgefüge, muss man darauf schauen, dass die nahen und die fernen Beziehungen nachhaltig entwickelt und bewahrt werden. Das meint jetzt wirklich alle Bereiche wirtschaftlich, privat, persönlich. Das meint aber auch das Kirchenrecht, dass ja bis in die beginnende Neuzeit immer dem weltlichen Recht voraus war, um Recht möglichst nahe an die Gerechtigkeit heranzuführen, dass seither aber hinterherhinkt hinter den veränderten gesellschaftlichen Prozessen und damit unnötige Probleme erzeugt bzw nicht das Instrumentarium dafür liefert, um nahe am biblisch Gemeinten zu bleiben. Man vergleiche nur mal die Aufgaben und die Lebenswirklichkeit eines Pfarrers vor 100 Jahren und heute. Oder den Umgang mit innerkirchlichen Konflikten im Kontext von immer neuen Kommunikationsmitteln. Auf diesem Gebiet müssten sich die Theologen und Kirchenrechtler wirklich mehr Gedanken machen, damit für die nötigen Wandlungen, ein angepassteres Instrumentarium bereitgestellt wird. Es besteht sonst die Gefahr, dass wir entweder in erstarrten äußerem Formalismus das eigentlich in der Traditionen Gemeinte aus dem Auge verlieren oder gar in einem bilderstürzlerischem Akt mit den „veräußerlichten Formen“ das Kinde mit dem Bade ausschütten.
erste Schlussfolgerungen
Jedes kirchliche Gemeinschaft muss sich anschauen, wie es die fünf Prinzipien in ihrem Leben besser umsetzen und mit anderen Lebens- und Glaubenswelten vernetzen kann. Dabei kann es aber nicht sein, dass nur die Leitung denkt und entscheidet, sondern mit geeigneten Formen, muss man sehen, wie man alle in den geistlichen Unterscheidungs- und Entscheidungsprozess mit einbezieht. Das Instrumentarium „Unterscheidung in Gemeinschaft“ u.ä. ist ja vorhanden. Das Wachstum geschieht dann in der Dynamik des Senfkornes – leise, aber unüberwindlich Raum greifend.
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