Kommentar zu Joh 17,21f – alle sollen eins sein.
Am Sonntag, dem 2.10.2016, konzelebrierte ich in der Messe vom ökumenischen Treffen Pfingsten 21. Während der Predigt von Josef Fleddermann fragte mich Gott unvermittelt: „Weißt du eigentlich, warum meine Kirche hier in Europa so schwach ist?“
„Ja, Herr, das hast du mir doch schon für den letzten Artikel gezeigt, die verschobene Gewichtung von Gebet und Theologie?“
„Das ist noch nicht selber der Grund, sondern ebenfalls nur eine Folge.“
Dann sagte/zeigte er mir: „Mein Leib ist einer. Ihr aber habt ihn zerrissen. Mein kostbares Blut entfließt aus jeder Wunde der Spaltung. Auf jeder Wunde sitzen eine oder meist mehrere Gruppen von Dämonen, die die entsprechende Spaltung bewirkt haben und fortführen; diese verhindern die Heilung. Immer wieder puhlen sie mit ihren unreinen Händen am Schorf, damit sich die Wunde nicht schließt und am besten noch entzündet. (von hier ab Erläuterungen, nicht Teil des Bildes, aber mir sofort klar, weil er mich mit diesem Bild innerlich überführt hat.) Die Namen der wichtigsten Dämonengruppen sind: Macht- und Geldgier, Rechthaberei und Selbstgerechtigkeit, Ignoranz und Arroganz, Ungehorsam und Selbstdarstellung, Hass und Nicht-Vergeben-wollen…“
Vor 35 Jahren hatte ich noch kein Problem mit der Ökumene; denn alles schien ja klar. Jesus hatte Seine eine, heilige, katholische und apostolische Kirche auf den Fels gegründet, den Er zu „Petrus“ gemacht hatte und schuf. Die Apostel übergaben die Lehre und die Vollmacht Jesu durch Handauflegung, genau wie geschrieben steht, an die Bischöfe. Dann gab es mal immer wieder kleinere und größere Krisen, in denen sich ein paar demagogische & hartherzige Selbstdarsteller vom gesunden Weinstock des Lebens abtrennten, um zu verdorren. Das ging schon in der Antike los, wo vor allem die Griechen und Ägypter immer wieder Stress machten und Rom immer noch gerade so die Wogen glätten konnte zwischen den selbstzentrierten Ägyptern und den machtgeilen Byzantinern. Doch trotz aller menschlicher Schuld, blieb Jesus seiner heiligen, katholischen und apostolischen Kirche treu wie er in den Schlusssätzen des Matthäusevangeliums vesprochen hatte.
Genau genommen hätte ich das damals zwar nicht so ausdrücken können, weil mir das Wissen davon fehlte, aber genauso hätte ich mein selbstgerechtes Bauchgefühl ausgedrückt. Im Kern war es ein Kleinreden der je eigenen Schuld (der Konfession) und das Aufblähen der jeweils anderen. Genauso hätte ich über die anderen Spaltungen geredet.
Aber noch eigentlicher hatte ich schlichtweg kein besonderes Interesse an der Ökumene; genau genommen galt das sogar innerkatholisch, ja selbst in der eigenen Stadt. Wir waren als Gemeinde groß genug, um ständig Aktion zu haben. Ich brauchte praktisch weder andere Gemeinden, noch Orden oder Bewegungen – theoretisch schon, sonst hätte man sich ja direkt in den Widerspruch zur Schrift gesetzt. Trotz der Bemühungen unserer evangelischen und katholischen Geistlichkeit dümpelten die ökumenischen Kontakte meist dahin. Über ein freundliches Beschnuppern und einige gemeinsame, kraftvolle Aktionen gegen den „bolschewistischen Staat“ (Schwerter zu Pflugscharen; Jugendkreuzwege) kam das aber nie hinaus. Wir (Jugendliche) empfanden unsere Nachbargemeinden zumeist als evangelische Spaßbremsen, die eine Flasche Wein mit sieben Flaschen Selters verdünnten, ein paar Früchte reinschnitten und das Ganze Bowle nannten (real vorgekommen). Diese sahen uns eher als – weiß nicht – wahrscheinlich heuchlerische, papistische Alkoholiker (die letzte Phrase ist sinngemäß gefallen auf die Kritik an der Bowle). Interessant war, dass schon damals die Ökumene unserer kleineren katholischen Südgemeinde deutlich stärker war als unsere.
Mein ökumenisches Problem erwachte eigentlich erst, als ich in die Binnenstruktur von Kirche, aber auch Jesu Herz näher kam. Jetzt gab es des Öfteren ökumenische Gottesdienste. Für mich empfand ich das meist als einen sehr heiklen Eiertanz. Man wollte die anderen nicht verletzen und hat darum auch katholischerseits stets alles vermieden, was den anderen eventuell hätte stören können; Maria, die Heiligen, schöne Wallfahrten, … Erfreulich war in diesem Stadium zumeist nur die Musik. Weil wir uns bei den barocken Liedern alle wiederfanden oder auch im Neuen Geistlichen Lied, was emotional die größte Gemeinsamkeit war, obgleich die meisten Texte doch ziemlich flache Wortspiele waren. Ich nenne diese Art Ökumene heute die „Ökumene des kleinsten gemeinsamen Nenners“. Sie ist kastriert, kraftlos und zum Sterben verdammt; um es mal nicht wertend auszudrücken. Unglücklich war dazu wohl auch, dass ich manchmal an Personen kam, die nicht wirklich glaubten, obwohl sie in der Bibel lasen. Ich kann mich eines Gesprächs entsinnen, weiß aber nicht mehr wann und wo das war, noch den jugendlichen Gesprächspartner. Das endete damit, das man einen Dissenz darüber hatte, was „Gebet“ sei. Ich sagte „reden mit Gott“, die andere Seite sagte „nein, es ist reden über Gott“.
Unersprießlich waren dann und sind es bis heute immer viele Internetdiskussionen in „christlichen“ Foren. Manchmal scheint mir, das Internet erwecke im Menschen vor allem die übelsten Anlagen – und die normalsten Filter der Höflichkeit, die von Angesicht zu Angesicht auch noch nach drei Promille wirksam sind, werden von vielen im Netz bewußt nicht gesetzt. Ob es Politiker sind, Zustände inner- und außerhalb der Kirche oder auch theologische Themen es mangelt bei den „Christen“ an Respekt. (Gibt’s bei Nichtchristen natürlich auch, aber die sind hier nicht mein Problem.) Fakten zu gesellschaftlichen Entwicklungen und Befindlichkeiten in Deutschland werden ignoriert oder geleugnet, damit man dem anderen zB vorwerfen kann, er „islamisiere“ Deutschland… Teile des Leibes Christi werden – je nach eigenem Straßengraben – als „Ungläubige“, „Sektierer“ oder „Dunkelkatholiken“ abgestempelt. Um es mal gleich zu sagen, solche gibt es wirklich, aber eine Zuordnung erfolgt meist durch bestimmtes Verhalten, nicht durch meine Ettiketierung. Wie sehr zB gelingt es mir vor meiner Antwort zu verstehen, was der andere wirklich meint? Kommen meine Argumente nur aus der eigenen Polemik oder gelingt es, sie wirklich aus dem Gespräch zu entwickeln? Wenn ich im eigenen Straßengraben versunken bin, erscheinen mir die Argumente der anderen jeweils nur als „dumm“, „verblendet“ oder „böswillig“. Das sieht man meist schon am Vokabular. Aber wie kann man die heutige ökumenische Selbstblockade anders auflösen als durch die Auflösung eines der „Kontrahenten“? Folgendes am Beispiel der Reformationszeit.
Ein Kirchengeschichtsprofessor (P. Klaus Schatz SJ) verglich die Zeit vor der Reformation mit einem wild und üppich wuchernden, ungepflegten Garten. Es wuchs viel Schönes und Nützliches, aber auch viel Verstörendes und Schädliches darin. Glaube und Aberglaube wohnten oft Tür an Tür im selben Herzen. Viele nötige Arbeiten waren über Jahrhunderte nicht durchgeführt worden, weil die Missstände für manche so bequem – aber mehr noch – lukrativ waren. Die zuständigen Gärtner weigerten sich schlichtweg, die nötigen Arbeiten durchzuführen.
Luther begann nun in diesen Garten eine Schneise zu schlagen. Dabei war er zu Beginn wirklich von einer Liebe zur Schrift und von einer Erkenntnis getrieben, die für ihn neu waren. Während ihn aber in der Folge die eigenen Leute in den Himmel heben, wird er auf der anderen Seite zum Inbegriff der Bosheit. In Rom und am Kaiserhof unterstellte man natürlich dem „Mönchlein“ und seinen Unterstützern andere Motive; nämlich eigenes Geld- und Machtstreben. Es fiel ja auch nicht schwer entsprechende Belege dafür zu finden. Da waren zB die Rolle Luthers bei den Bauernkriegen zu nennen(, sein Verhältnis zu den Juden). Aber auch bei den anderen Reformatoren, die die „Hurerei Babylons“ (Roms) geißelten (zB Eheauflösung bei Heinrich dem VIII.), aber gleichzeitig bei ihrem wichtigen hessischen Gönner Philipp I. von Hessen gute biblische Gründe fanden, um dasselbe Ansinnen für eine neue Ehe zu rechtfertigen, nachdem dieser damit drohte, in Rom nachzufragen, ob es nicht da eine Lösung für sein Problem geben könnte.
Lange sah man in Rom nicht die eigene Schuld. Erst 50 Jahre zu spät, um die Spaltung zu verhindern, führte das Konzil von Trient zu einer Klärung und Konsolidierung der römischen Theologie und Praxis sowie zur lange überfälligen Reform der römisch-katholischen Kirche. Auch hier fand mein verehrter Lehrer P. Klaus Schatz SJ einen schönen Vergleich: Trient war wie der Gips, den man um einen gebrochenen Arm gibt, um dem Arm die nötige Zeit zu geben, sich zu erholen – und diese Erholung gelang; freilich zu einem hohen Preis. Es wurde nun im Garten, der übrig geblieben war, eifrig bis übereifrig weggesprengt und ausgerissen, kanalisiert und eingegipst. Es wurden ehrfurchtgebietende Straßen „für die Ewigkeit“ gebaut. Fast 400 Jahre lang änderte sich von nun an in katholischer Lehre und Praxis kaum mehr etwas. Von Brüssel bis Bombai, von Nagasaki bis Pataia sprach man in der Liturgie eine Sprache und feierte die eine Liturgie in der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Wer nicht in ihr war, war draußen – und zwar auch außerhalb der göttlichen Barmherzigkeit. Extra ecclesiam nulla salus. (damals übersetzte und meinte man: Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil. Dabei meinte man mit der Kirche, die „römisch-katholische“ und mit „außerhalb“ die, die sich nicht innerhalb der ewig, gerechten Bahnen des Kirchenrechts bewegten. Das war zwar in der Strenge nie Lehre, gab und gibt aber schon das katholische Selbstverständnis wieder.) Aber mit dem Gips ist das so eine Sache. Und davon kann Lisa etwas erzählen.
Lisa ist zehn und hatte sich den Arm gebrochen. Diese weiße aushärtende Masse hatte sich nun in ihrem Leben einen würdigen Platz bereitet. Und er war nötig, dieser Gips. Nur so konnte der kleine Wirbelwind gehindert werden, den Arm stärker als gut zu beanspruchen, damit der Arm heilen konnte. Mit der Zeit wurde er immer bunter. Das Zwicken und Krabbeln darunter war zwar nicht angenehm, aber es gab ja einen wichtigen Grund für den Gips. Der Gips wurde auch immer bunter, da viele Freunde Lisas, sich darauf verewigt hatten. Sie hatte ihn langsam so richtig lieb gewonnen. Darum war ihr gar nicht wohl, als sie hörte, der Gips komme ab.
Das war in etwa die Situation vor dem 2. Vatikanischen Konzil. Viele waren froh, dass sich nun etwas tat, eine Minderheit, wollte nicht ohne den Gips leben, ja hielt ihn für einen unverzichtbaren und ewigen Teil des Armes. Lisa weiß, dass der Gips ab muss. Aber es gibt neben den Ärzten auch solche, die Teile oder auch den ganzen Arm entfernen wollen, „weil er unrettbar kaputt sei“. Diese Leute sind Lisa genauso suspekt und natürlich ist sie auch bezüglich ihres Armes anderer Meinung.
Ich möchte jetzt aber nicht weiter über den Gips in anderen Konfessionen nachdenken, sondern zum eigentlichen Punkt dieses Artikels kommen. In den letzten Jahrhunderten haben sich die Gräben oft vertieft. Ein erster Hoffnungsschimmer war die Ökumene der Märtyrer während des Dritten Reiches (Lübecker Märtyrer, Kreisauer Kreis…).
Ich habe für mich eine neue, tiefe Form der Ökumene erlebt im Rahmen der Charismatischen Erneuerung. Die Kongresse 1999 Jesus 2000 und 2016 Pfingsten 21 waren für mich Meilensteine des Verstehens und des Sehnens nach Einheit. Einheit und die Sehnsucht nach Einheit wächst, wenn wir gemeinsam Jesus suchen. Je näher wir ihm kommen, desto größer wird auch die Einheit. Das was Jetzt noch stört, sind natürlich die alten Dämonen und Wunden. Darum ist Vergebung und Heilung auch so wichtig. Damit der Leib wieder eins sein kann, so wie Jesus es gewollt hat; aber nicht in der kastrierten Form der „Ökumene des kleinsten gemeinsamen Nenners“, sondern in den vollen Tradition, wo man einander versucht zu verstehen, wo die Liebe den Primat hat und nicht die Rechthaberei. Auf klärende Gespräche wird man nicht verzichten können, aber sie müssen getragen sein von der gemeinsamen Suche nach Gott und mit Glaube, Hoffnung und Liebe als Kern (1 Kor 13) von allem. Das beginnt schon mit einem wertschätzenden Blick auf die jeweils eigenen und jeweils anderen Traditionen. Also am oben schon erwähnten Beispiel „Luther“, nicht den Superhelden oder Erzschurken zu suchen und zu finden, sondern das, wofür er sich auch selber eingesetzt hatte und was wirklich seine grandiose Leistung war, die Übersetzung der heiligen Schrift in eine wunderschöne Sprache, die auch der deutschen Hochsprache massiv den Weg bereitete. Und in der Folge davon auch der Spiritualität, die nun auch bei den einfacheren Leuten von der eigenen Kenntnis der Bibel getränkt werden konnte.
Lisa kann ihren Arm wieder gebrauchen. Etwas behutsamer noch als sonst, aber in zwei drei Wochen wird sie nicht mehr an den Bruch denken, noch an den einst notwendigen Gips, und sich der neuen Stärke und Beweglichkeit gänzlich unbeschwert freuen.
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